BONG BONG BONG. Wir wachen auf. BONG! BONG! BONG! BONG! BONG! Was ist das? „Hello? Can you help me. Can you please open the main door?“Aha, jemand ist vor unserem Fenster und möchte gern hereingelassen werden. BONG BONG BONG BONG BONG. Wahrscheinlich hat er seine Schlüsselkarte verloren und wahrscheinlich ist es nach 2 Uhr morgens – die Rezeption hat geschlossen. BONG BONG BONG BONG. „HELLOO?! CAN YOU PLEASE OPEN THE DOOR?!“ Noch halb im Schlaf denke ich darüber nach, ob ich ihm helfen sollte – da höre ich wie er am Nebenzimmer klopft und ihm geantwortet wird. Kurz darauf sind Schritte zu hören und ich … schlafe sofort wieder ein.
Am nächsten Morgen kurz vor 9 klingelte unser Wecker. Wir standen auf, duschten und packten unsere Rucksäcke. Interessanteste und gleichzeitig traurigste Entwicklung des Tages: Lange Hosen, feste Schuhe und sogar Pullover. In Wien hatten wir nur 16°C und für Pilsen (bzw. Plzen) unser heutiges Ziel waren 15 bis 23°C gemeldet – im Gegensatz zu den 30 bis 35°C die uns in den letzten Wochen begleiteten fast schon arktische Temperaturen.
Nachdem wir gepackt und ausgecheckt hatten, liefen wir zum Bahnhof, wo wir uns in einem Supermarkt ein kleines Frühstück besorgten: Schmelzkäse, Knacker, 2 Joghurtdrinks und eine Banane. Da wir in dem „Merkur“-Markt* beim besten Willen keine Backwarenabteilung finden konnten, suchten wir uns einen Bäcker uns kauften 4 Brötchen, die wir dann zusammen mit den restlichen Einkäufen am Bahnsteig 3 verspeisten. Eigentlich war das Frühstück sehr schön, wenn da dieser Zug nicht gewesen wäre, der hinter uns am Gleis stand: Jedes Mal, wenn jemand eine der Türen öffnete, machte es „TÜÜÜT TÜÜÜT“ und wenn die Tür sich dann automatisch wieder schloss, hörte man ein sehr lautes, schrilles „TÜTTÜTTÜTTÜTTÜTTÜTTÜTTÜTTÜTTÜTTÜTTÜTTÜTTÜT – KLACK“.
Besagter Zug war übrigens unserer, was mir einen kurzen Schrecken einjagte: Nirgends war das ÖBB-Emblem zu sehen – es handelte sich um eine private Bahngesellschaft und ich hatte keine Ahnung, ob die „Westbahn“ sich an Interrail beteiligt und unsere Tickets in diesem Zug gültig sind. Hastig kramte ich nach dem Interrail-Heftchen, blätterte auf die Seite mit „Österreich“ und atmete auf: Gültig in allen Zügen des ÖBB, […] sowie in Zügen der WESTbahn.“ Wir hatten also noch einmal Glück gehabt.
Wieder sorgenfrei sahen wir dann einer Verspätung beim Entstehen zu: Vor uns am Gleis stand ein gut gefüllter ÖBB-Regionalzug, der genau ein Fahrradabteil besaß. Das sollte zum Problem werden, denn der Bahnsteig war voller Radtouristen und eine Familie (Mutter, Vater, 2 Kinder) passte nicht mehr hinein. Ein Schaffner wollte sie zurückhalten, doch der sehr aufgebrachte Vater verwies auf seine Tickets. Es entbrannte eine lautstarke Diskussion, als die Mutter die Initiative ergriff und ihr Fahrrad am Schaffner vorbei in den Zug schob. Zwar kam sie nicht ganz hinein, aber die Tür war blockiert und der Zug konnte so unmöglich abfahren. Der ÖBB-Mitarbeiter, so schien es uns zumindest, stellte sich vollends quer und verbot sogar die Fahrräder in einen anderen Wagen (ohne Fahrradabteil) zu stellen: Voll ist voll. Vorschrift ist Vorschrift. Hilfreicherweise trat eine ältere Dame dazu: „Sie müssen jetzt aussteigen. Der Zug muss abfahren. Los. Raus. Das geht so nicht.“ Sie wurde -zurecht- ignoriert und kann froh sein, dass ich nicht der Familienvater war – sie hätte sich was anhören können. Der Sicherheitsdienst kam, sah sich die Tickets an und tat nichts. Ein anderer Fahrgast kam gelaufen (der Zug hätte vor fast 10 Minuten abfahren müssen) und schlug vor die Räder in einen anderen Wagen zu stellen – „Das kann ich nicht entscheiden. Tut mir leid.“ sagte der unsichere und hilflose Mann von der Sicherheit. Es war ein abstruses Schauspiel – und wir konnten es leider nicht zuende anschauen – unsere Abfahrt rückte näher und wir mussten in unseren Zug, um noch einen Platz zu ergattern.
Der Zug war modern, bequem, es gab ein Abteil für Eltern mit Kindern, Auffahrrampen für Kinderwägen und Rollstühle, in jedem Wagen ein Cafè, der Schaffner war freundlich und es gab kostenloses W-LAN. Tja, liebe Deutsche Bahn, was sagst du jetzt? Außer uns kauften alle ihr Ticket im Zug (der Zugbegleiter kam durchgelaufen) und wir bekamen ein „Pickarl“**. Mit 200 km/h schossen wir durch Tunnel und Alpenlandschaften und erreichten auf die Minute genau Linz, wo wir in einen ÖBB-Zug nach Ceske Budejovice umstiegen. Und hier fängt der Krimi an, denn in besagtem Ort hatten wir nur 6 Minuten Zeit zum Umsteigen – was ich für sehr knapp bemessen halte.
Doch zunächst ging alles gut und bis zur Grenze waren wir perfekt pünktlich. Dann fand ein Personalwechsel statt und die ÖBB-Mitarbeiter übergaben ihren Zug an die Leute von CD, der Tschechischen Bahngesellschaft. Promt hatten wir 5 Minuten Verspätung. Je näher wir Ceske Budejovice kamen, desto aufgeregter wurden wir: Der Zug schlich durch die Landschaft und hielt in jedem Dorf auf der Strecke***. Kurz vor dem Endbahnhof (wir hatten 6 Minuten Verspätung), standen wir wieder auf freier Strecke – wahrscheinlich warteten wir auf ein Signal. Wir standen mit feuchten Händen an der Tür des Zuges, als wir endlich im Schneckentempo in den Bahnhof rollten. Es war eine Qual. Wir stiegen aus, liefen so schnell wir konnten zur nächsten Anzeigetafel. Auf Gleis 1 fährt unser Zug nach Plzen – wir hasteten durch die Unterführung, die Treppe nach oben und da stand er. Mit pochendem Herzen sprangen wir in den Zug und suchten uns ein Abteil. Gerade noch geschafft. Was wir nicht bedacht hatten: Auch dieser Zug hatte Verspätung – bzw: die Verspätung war gerade am Entstehen. Wir blieben noch einige Minuten Im Bahnhof stehen, bis der Zug endlich losfuhr. War ja irgendwie logisch. Warum sollte er auch pünktlich sein?
Die Fahrt dauerte zwei Stunden und war, wenig erstaunlich, unspektakulär: Die zwei jungen Frauen, die Anfangs in unserem Abteil saßen, stiegen aus, eine Frau mit Rucksack und ein hardrockhörender, kreuzworträtsellösender, leicht aggressiver, junger Mann stiegen zu. Der Kontrolleur war wenig motiviert, aber freundlich und die Landschaft zog vorbei. In Plzen liefen wir aus dem Bahnhofsgebäude heraus und folgten einer breiten Straßen Richtung Zentrum. Wir hatten versucht eine Unterkunft zu buchen, aber auf unsere Anfragen kam keine Antwort. Nach ein paar Minuten sahen wir eine Pension – doch leider war sie ausgebucht. Wir beschlossen die Unterkunft zu suchen, die nicht auf unsere Anfrage reagiert hatte: Es handelte sich um ein sagenhaft hässliches Plattenbauhochhaus, in dem einfache Zimmer für wenig Geld (hauptsächlich an Arbeiter auf Montage) vermietet wurden. Doch so intensiv wir auch suchten: Nichts zu sehen.
Verzweifelt fragten wir im 3-Sterne-Hotel „Bayer“ nach – man verlangte dort etwa das Doppelte von dem, was wir gern ausgeben würden. Wir erbaten uns Bedenkzeit und ergriffen die Flucht. Das Rucksacktragen war anstrengend und so gingen wir in eine verrauchte Kellerkneipe, wo auf den ersten Blick recht zwielichtige Gestalten Bier tranken. Ich fragte ob jemand Englisch spricht: „Nje.“ – „Aber Deutsch!“ rief es aus dem Hintergrund. Der freundlicher Tscheche ging mit uns vor die Tür und zeigte uns den Weg zu einer günstigen Unterkunft. Wir dankten und folgten der Straße. Als wir um die Ecke bogen sahen wir es: Das hässlichste Plattenbauhochhaus aller Zeit: Grau-braun, abblätternder Putz, hier und da ein loses Kabel, aber in großen Lettern stand da „Ubytovny“ – Unterkunft. Wir gingen zur Rezeption, wo uns ein alter Mann begrüßte. „English? Deutsch?“ Er schüttelte den Kopf. Ich versuchte es mit Zeichensprache und er verstand: 2 Personen, 2 Nächte – Nein, voll.
Die kurzzeitige Euphorie war verflogen. Was nun? Wohin sollten wir gehen? Der Mann stand jetzt auf der Treppe vor dem Haus und ich ging nocheinmal auf ihn zu und erkundigte mich nach „Ubytovny?“. „Ah… ehh….“, er zeigte geradeaus: „… ehh… gehen Sie … Straße … Trolleybus ….. ähh… zweite Straße … ehhh… links und … Zikmunda Wintra.“ Er lachte verzweifelt, sah seine Frau an. Die nickte nur: „Zikmunda Wintra. Zikmunda Wintra.“ „Straße Zikmunda Wintra“, sagte er. Na also, das war doch was! Wir lächelten, dankten und liefen los. Zur Straße, auf der der Oberleitungsbus (oder auch: Trolleybus) fährt. An der zweiten Straße bogen wir ein – sie hieß Zikmunda Wintra. Eine Unterkunft entdeckten wir nicht, weshalb wir am Ende der Straße einen Mann fragte, der uns ein paar Meter zurück in die Straße schickte. Zwei Frauen standen rauchend vor einem Haus. Eine von beiden sprach Deutsch und schickte uns, von der anderen Frau abgenickt, in die fünfte Etage. Dort standen wir vor einer verschlossenen Tür, an der ein Zettel klebte. Unser Tschechisch ist zu schlecht, als das wir ihn hätten verstehen können, aber als Klopfen uns nicht weiterbrachte, riefen wir die beiden Telefonnummern an, die sich auf Selbigem befanden. Keine Reaktion.
Also wieder 5 Stockwerke nach unten und die Frauen nochmal fragen. Im Erdgeschoss trafen wir auf eine Menge Kinder und einen Mann, der uns jedoch völlig ignorierte. Eine Frau kam, wir fragten nach Ubytovni und sie zeigte auf eine der beiden Frauen vor der Tür. Die Deutschsprechende war leider nicht mehr da, und die angeblich für Ubytovni zuständige, brachte uns zu dem Mann, der uns ignoriert hatte. Wir fragten ob er Englisch oder Deutsch kann – Kopfschütteln. „Ubytovni?“ – „I chave school, but i chave no courses with accommodation.“ Ok, das Englisch ist nicht berauschend, aber ein bisschen spricht er ja doch. Wir versuchten nachzuhaken, denn schließlich hatten uns mehrere Leute hierher (und in den 5. Stock) geschickt, doch er blieb hart – und wir gingen verwirrt weiter. Warum uns die beiden Frauen nach oben geschickt haben, obwohl die eine doch angeblich der Ansprechpartner für Unterkünfte ist, und warum der Mann meinte, es gäbe keine Unterkünfte, obwohl uns doch mehrere Leute (auch die vor dem Haus) geschickt hatten, ist uns bis jetzt absolut unklar.
Gesenkten Hauptes gingen wir also zum Hotel Bayer und nahmen das Doppelzimmer zum Preis eines Mittelklassewagens.
Der Rezeptionist sprach sogar deutsch und nahm uns mit Freuden auf. Zimmer Zwei sollte also fortan unseres sein und es ist auch ganz angenehm: Ein schönes Bett, Dusche/WC, Fernseher mit deutschem, englischem und französischem Programm – und WLAN.
Wir duschten, ruhten uns kurz aus und gingen in die Stadt. Mittlerweile war es 9 Uhr und so kauften wir uns in einem kleinen Eckladen**** jeder ein Bier und im „Kebabistan“ je einen Dürüm. Wir beobachteten die Menschen um uns herum, aßen und gingen müde zurück ins Hotel.
*nicht zu verwechseln mit Orion
**Nein, keine Mautplakette, aber etwas Ähnliches: Ein kleines „Westbahn“-Aufkleberchen, dass jetzt auf unseren Tickets klebt
***Wirklich und tatsächlich an jeder(!) Milchkanne – Ungefähr alle 4 Minuten standen wir. Wer mir nicht glaubt, ich füge einen Screenshot des Fahrplans an.
****in Berlin würde man Späti sagen